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Die berühmte Kretische Schule

Die Ikonenmalerei wurde von Kunsthistorikern für eine bessere Katalogisierung in Entstehungs.- und Fundgebiete unterteilt. Das Byzantinische Reich (330 bis 1453) gilt als der Ursprung christlich-orthodoxer Kirchenbilder. Der gesamte östliche Mittelmeerraum malte Ikonen. Griechenland und der gesamte griechisch bzw. lateinisch sprechende Raum nahmen großen Anteil an dieser Entwicklung. Eine hohe Nachfrage an Bibeltexten in Bildern regte die Entstehung von ersten griechischen Malerwerkstätten in Konstantinopel, der Hauptstadt des byzantinischen Reiches  an. In Konstantinopel entwickelten sich talentierte Malermeister. Von dort aus verbreiteten sich die Ikonen bis in die Randgebiete des byzantinischen Reiches und gegen Ende des 10. Jhd. auch bis nach Russland.

Heilige Petrus und Paul im Stil der kretischen SchuleDie kretische Schule verdankt ihre Entstehung und darauf folgender Berühmtheit der Tatsache, dass im Jahre 1453 Konstantinopel (jenes Zentrum des Byzantinischen Reiches) von den Osmanen erobert und eingenommen  wurde. Sie bewahrte die Ikonenmalerei unter dem Einfluss einer neuen Zeit. In ihr vereinigten sich lateinische und oströmische Einflüsse zu einem neuen Stil.

Menschenmenge, kretische SchuleIn Konstantinopel betrieben die besten Ikonenmaler-Meister ihre Werkstätten, um die immense Nachfrage nach Ikonen in hoher Qualität zu befriedigen. Zunächst unterdrückten noch verfolgten die Osmanen die christliche Bevölkerung im Besonderen, jedoch wurde ihnen weit höhere Steuern abverlangt als dem eigenen Volk und ihre Kirchen zweckentfremdet. Teile des Klerus, Akademiker, Händler und viele Malermeister flüchteten daher aus Konstantinopel.
Das Byzantinisches Reich mit seiner Hauptstadt Konstantinopel war Vergangenheit. Doch einige Illusionisten träumten davon, ein neues byzantinisches Reich zu gründen. Von den Osmanen unberührt und fernab aller politischer Veränderungen bot sich die im Mittelmeer gelegene, große Insel Kreta an. Hier sollte das neue byzantinische Reich entstehen, und so flohen viele Ikonenmalermeister im 15. Jhd. nach Kreta.

Heiliger Simeon, kretische SchuleAuf Kreta vermischten sich die unterschiedlichsten Malstile, denn Malermeister begegneten sich und tauschten sich aus. Neue Werkstätten entstanden, und die Nachfrage nach Ikonen stieg noch einmal enorm an. Um die Aufträge schnell ausliefern zu können, begannen einige Werkstätten, Ikonen in Gemeinschaftsarbeit anzufertigen (ähnlich dem Bau des neuen Airbus). Aufträge mit hohen Stückzahlen wurden in einzelne Arbeitsschritte aufgeteilt und an verschiedene Werkstätten zur Bearbeitung weiter gereicht. Dabei kam z.B. einer Malerwerkstatt die Bemalung von Häuser und anderen Objekten zu, eine andere malte die Bekleidung, und eine dritte Gesichter, Hände und Füsse u.s.w. Damit alles harmonisch zusammen passte, einigte man sich auf einen Malstil, der von allen leicht reproduziert werden konnte. So entstanden die typischen Merkmale der Kretischen Schule, die heute kunsthistorisch geschätzt und von Sammlern besonders geliebt wird.

Gebäude nach Art der kretischen SchuleDie Kretische Schule zeichnet sich aus durch eine Reduktion auf das Wesentliche. Die Darstellung ist genau und differenziert, aber spartanisch. Kaum eine Schnörkelei soll von der orthodoxen Botschaft ablenken. Wert gelegt wurde auf die Darstellung geistiger Ideale und Transzendenz.  Die Faltenwürfe der Gewänder sind in der Kretischen Schule geometrisch streng angeordnet. Ihre Aufhellungen (Lichter) setzen sich stark voneinander ab. Hingegen werden die zuvor sehr dunkel grundierten Inkarnate (Hautpartien) zart, weich und mit fließenden Farbübergängen auf kleiner Fläche aufgehellt. All dies lässt die Ikonen im Stil der Kretischen Schule sehr kontrastreich erscheinen. Im Sinne einer einheitlichen Reproduzierbarkeit sind die Farben der Berg nach Art der kretischen SchuleBekleidung eines jeden Heiligen stringent vorgeschrieben und erlauben nur minimale Abweichungen. All dies basiert natürlich auf theologisch orthodoxem Hintergrund. Selbst einige der bevorzugten Themen der Kretischen Schule lassen sich in Kategorien zusammenfassen und einordnen. Sicher wurde dies auch vom damaligen Zeitgeist geprägt. So sind viele Muttergottes Ikonen und Festtagszyklus-Ikonen aus dieser Zeit aufgefunden, werden heute restauriert und in Museen ausgestellt.
Ein berühmtes Thema ist die „Maria, die zärtlich Küssende“, auf der die Gottesmutter das Christuskind auf dem Arm trägt. Eine Besonderheit und der Kretischen Schule zugeschriebenes Detail ist die gerade vom Fuß des Kindes abfallende Sandale. Dies ist keine kosmetisch-realistische Ausschmückung des Ikonenthemas, sondern als ein theologischer Hinweis auf die zukünftigen Leiden Christi zu verstehen. Johannes der Täufer, kretische SchuleDer kurze Moment ist festgehalten, wo dem Jesus-Kinde in seiner noch unbeschwerten Zeit seiner leidvollen Zukunft gewahr wird und es dabei so sehr erschreckt, dass ihm seine Sandale vom Fuß gleitet.

Andere typische Motive der Kretischen Schule finden sich im Heiligen Johannes, dem Täufer. Dieser auf Kreta sehr beliebte Heilige hat zwei Ikonentypen; auf dem einen Typ wird er während seiner Lebenszeit ohne Flügel dargestellt, der andere Ikonentyp zeigt den heiligen Johannes, den Vorläufer nach seiner Enthauptung mit zwei Flügeln.

Ein zweites Byzanz wurde Kreta bekanntlich nicht, aber die Ikonenmalerei erhielt zweifellos auf Kreta noch einmal einen qualitativen und quantitativen Aufschwung. Über 200 Jahre lang (bis 1669 schließlich die Türken auch diese Insel eroberten) konnten sich die 1543 aus Konstantinopel geflohenen Ikonenmaler und ihre Schüler hier gegenseitig unterstützen und die Ikonenmalerei perfektionieren. Die Blütezeit der Kretischen Schule reicht bis ins späte 16. Jhd.

Hiermit möchte ich meinen kleinen Aufsatz über die Kretische Schule beenden und hoffe mit diesem Beitrag etwas zum Verständnis dieser so wichtigen Schule beigetragen haben zu können. Die Kretische Schule hat viele Meister hervorgebracht, denn ab dem 14. Jhd wurde es zusehends üblicher, die Ikone mit dem Namen des Meisters zu signieren. Ob der Meister selber, einer seiner Schüler oder eine ganze Gruppe von Malern an dem unterzeichneten Werk Anteil genommen haben, kann dabei oft nur ein Fachmann ergründen.

Wegen ihres klaren Aufbaues und der Ausführung mit nur wenigen Farben eignet sich die Kretische Schule besonders gut für Anfänger, die das Handwerk der Ikonenmalerei erlernen möchten.

Mutter Gottes Ikone kretische SchuleMaria Ikone venezianischer EinflussGegen Ende des 16. Jhd. beeinflusste die westliche Malerei auch die Kretische Schule immer mehr. Venezianische Malermeister bereicherten den streng gehaltenen kretischen Malstil. Die Faltenwürfe wurden weicher, die Farbskala erweiterte sich und auch die Art der Bekleidung wurde verspielter. Die strenge blaue Haube Mariens ersetzte oft ein fein gewobener Schleier und ihr ursprünglich sehr schlichter Umhang wurde jetzt mit Stickereien und Bordüren in feinster Goldmalerei ausgeführt. Säulen, Gebäude, die Landschaft – alles wurde differenziert ausgeführt und jeder feinste Pinselstrich, jede Linienführung an sich drückte die Verehrung Gottes, die Sehnsucht der Menschen nach der Erfahrbarkeit der Nähe Gottes aus.

Feierte die Kretische Schule die geistige Welt, die Transzendenz durch ihren spartanischen, reduzierten Stil mit Sinn für theologische Details, so lobpreisen auch die späteren, aus Venedig stammenden Ikonenmaler trotz ihres westlichen Einflusses unter Beibehaltung überlieferter oströmischer Bildthemen und Bildaufbau ihre Liebe zur Religion mit äußerster Präzision und Genauigkeit bis in das kleinste schmückende Detail. Beiden gemeinsam ist die Suche nach der Perfektion. Dies ist genau das, was ich spüren kann, wenn ich Ikonen dieser Epochen kopiere.

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