Ikonen sind gemalte Worte des Alten und Neuen Testaments und bilden Werte und Haltungen ab. Daher benutzen die byzantinischen Ikonenmaler die Größendarstellung, um Wichtiges von weniger Wichtigem zu unterscheiden. So wurden für die Darstellung bedeutende Personen viel größer als die zur Erzählung nötigen Nebendarsteller abgebildet.
Ikonen handeln von zu Mensch gewordenen Idealen. Allen voran steht Jesus Christus mit seiner Leidensgeschichte auf unserer Erde. Seine Mutter Gottes, seine Jünger, Evangelisten, Heilige, Märtyrer und Engel tragen alle einen Heiligenschein, auch Nimbus genannt oder griechisch Lichtkranz (photostephanos). Dies ist ein Hinweis, dass wir uns nicht in der realen Welt bewegen, sondern auf einer anderen Ebene der Betrachtung. Hier gelten nicht die gewohnten Naturgesetze. Alles ist Licht. Schatten gibt es auf byzantinischen Ikonen nicht.
Byzantinische Ikonen bilden also nicht die reale Welt ab. Auf byzantinischen Ikonen ist jedes Detail zum Symbol erhoben und von Be-deutung. Es wird nicht die äußere Welt dargestellt, anstelle dessen liegt der Fokus auf der inneren Welt eines jeden von uns. Daher ist der perspektivische Fluchtpunkt nicht am Horizont gelegen sondern ins Auge des Betrachters verlagert und spricht direkt in unsere Herzen. Treffenderweise wird dies Bedeutungsperspektive genannt.
Die Architektur auf byzantinischen Ikonen verdient besondere Aufmerksamkeit. Die abgebildeten Gebäude kann es so gar nicht geben. Da gibt es Pfeiler und Säulen an unmöglichen Stellen – kein Baumeister könnte je so etwas bauen. Diese ver-rückte Architektur gefällt mir besonders, denn sie erinnert mich daran, dass es noch eine andere Wirklichkeit gibt, die neben unserem Alltag existiert. Eine Welt, in der es andere Wichtigkeiten gibt, andere Bezugspunkte wie Geld und Einfluss, Macht und Eitelkeiten. Die Handlungen in byzantinischen Ikonen finden immer draußen statt, vor aller Augen. Nichts findet im Verborgenen statt. Alles hat Bedeutung, alles ist Symbol.
Ikonen schulen unser Bewußtsein und laden uns zu einer neuen Beweglichkeit in der Wahrnehmung ein.
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