Banner Ikonenmalerei-Kirsten-Voss


Engeldarstellungen

Erzengel Gabriel, SinaiEngel heißen auf griechisch Άγγελος (gesprochen: Angelos, Betonung ist kursiv gedruckt). Nomen est omen! Also zu deutsch: der Name ist ein Zeichen. Das ευαγγέλιον (gesprochen Ewangelion), zu deutsch: das Evangelium ist die Frohe Botschaft. Also haben wir es mit frohen Boten zu tun, wenn wir über die Engel sprechen wollen.

Der bekannteste Botschafter ist neben dem Erzengel Michael der Engel Gabriel (Abb. rechts), dargestellt auch auf der Ikone der Verkündigung Mariens. Auf griechisch heißt diese Ikone Ο Ευαγγελισμός (gesprochen: o Ewangelismos – mit Betonung auf der letzten Silbe). Schnell wird nun klar, woher wir unser Evangelium abgeleitet haben: von den Engeln, oder besser noch: von den Tätigkeiten der Engel, denn die Engel sind die Boten Gottes. Die Endsilbe „-el“ bedeutet „scheinendes Wesen“. Jeder Engelname endet damit. Selbst im „Engel“ selbst steckt das –el, und wir finden es auch im Wort Himmel, der so zu einer scheinenden Wesenheit mutiert.
Throne, Cerubim und SerafimDie Engel stellen eine Brücke zwischen Gott und den Menschen her, sie sind das Medium, mit dem Gott zu uns spricht. Folge dessen müssen es außerordentlich beeindruckende Wesen sein, wenn sie die Nähe Gottes umgeben. Nicht alle Engel können dies gleich gut, und so gibt es eine Art Dienstgrade unter Ihnen, die Engel-Hierarchie.
Die Engel-Hierarchie ist aufgeteilt in drei Gruppen (manchmal auch Himmel benannt), wobei jede Gruppe wieder in drei Chöre geteilt wurde, sodass wir neun Engel-Chöre kennen. Das macht die Zahl Neun (3x3) aus, die wir oft in Kirchenbauten wieder finden können. Besonders die in Bilder-feindlichen Zeiten gebauten Kirchen weisen eine wunderbare Zahlensprache auf, die dem geübtem Blick neue Botschaften anbieten.

Die erste und höchstgestellte 3er Gruppe der Engel bestehen aus Seraphim, Cherubim und Throne (Abb. links). Sie haben mehrere Flügelpaare, und bei den letzteren sind es sogar sehr viele Flügel mehr. Die Throne werden in der byzantinischen Ikonographie als große, ineinander verschlungene Wagenräder dargestellt. Allen gemeinsam ist, dass sie auf ihren Flügeln viele, viele Augen tragen, und pausenlos um den Thron Gottes fliegen. Dabei rufen sie Άγιος, Άγιος, Άγιος (gesprochen: Ajios)– zu deutsch: Heilig, Heilig, Heilig!

 Dreifaltigkeit IkoneJa, die Zahl “drei” taucht immer und immer wieder auf. Drei mal Drei Engelchöre stehen auch für die Heilige Dreifaltigkeit Gottes, die sich aufteilt in Gott-Vater, Gott-Sohn und Heiliger Geist. Wunderbar ist diese Dreiheit auf der byzantinischen Ikone „Das Gastmahl“ Abrahams dargestellt (siehe rechts). Die Wesenheit Gottes durfte auf byzantinischen Ikonen nicht dargestellt werden, da Gott vom menschlichen Auge niemals erblickt wurde und daher auch nicht abbildbar war (ein zentrales Thema des Bilderstreites 726 bis 843 mit einhergehenden wütenden Bilderverbrennungen). Daher suchten die damaligen Bischöfe nach einer Art Symbol, mit der sie die Heilige Dreiheit doch darstellen konnten. Neben dem Gastmahl Abrahms gilt auch die Ikone „Das Gastmahl zu Emmaus“ als Metapher für diese Dreiheit.
Erst nach der Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453 durch die Türken tauchten durch westliche Einflüsse, besonders aus Venedig, die Vater-Gottesdarstellungen auf. Gott-Vater wird als alter Mann in weißer Kleidung neben Jesus-Christus sitzend dargestellt. Über beiden fliegt der Heilige Geist in Gestalt einer Taube. Bis heute wird diese Art der Abbildung Gottes in der Orthodoxie abgelehnt – unbestritten ist, dass einige sehr schöne Werke aus der nachbyzantinischen Zeit erhalten geblieben sind, welche von Ikonenfreunden und Gläubigen gern in Auftrag gegeben werden.

Die zweite 3er Gruppe der Engel besteht aus Herrschaften, Mächten und Gewalten. Man sagt, dass diese Triade die Vereinigung mit Gott, dem Urgrund erstrebt. Bei den Herrschaften spielt Pflicht und Disziplin eine große Rolle. Gnade, Wohltat und Wunder werden durch jene Mächte ausgeführt. Diese Engel standen Jesus-Christus bei seiner Himmelfahrt zur Seite und begleiteten ihn in den Himmel, sagt man. Die Gewalten bewachen diesen Himmel vor bösen Dämonen, die so genannten gefallenen Engel. Die Gewalten sind die Schwelle, die unser dualistisches Alltags-Bewusstsein überwinden möchte, wenn wir in die Ein(s)-Heit mit der Göttlichen Quelle verschmelzen wollen (siehe 4.Moses 21-22 „Eselin“).

Die letzte 3er Gruppe der Engel bewohnen den ersten Himmel, der an unser dreidimensionales, materielles Bewusstsein angrenzt. Sie werden mit Fürstentümer, Erzengel und Engel benannt und stehen uns Menschen am nächsten. Den Fürstenengeln oblag ursprünglich die Sorge über die verschiedenen Völker auf Erden. Mittlerweile werden sie als Beschützer der Religionen, vorzugsweise der orthodoxen Religion, angesehen, aus dessen Glaubensschau sie ja stammen. Den Erzengeln kommt die Rolle der Übermittler, der oben genannten Boten Gottes, zu. Obwohl es ihrer Zahl sieben geben soll, werden in der orthodoxen Ikonenmalerei nur zwei mit Namen abgebildet; der Erzengel Michael und der Erzengel Gabriel. Interessanterweise stellt dies eine Parallele zum moslemischen Koran dar!

Erzengel Michael Meteora  KlosterDie Abbildung links des Erzengels Michael gibt uns ein gutes Beispiel, wie Engel in der byzantinischen Ikonenmalerei sowie in der nachbyzantinischen Ikonenmalerei dargestellt wurden: als gradlinige, starke Wesen. Sie sind stets männlich (erkennbar an dem Adamsapfelansatz am Hals), auch wenn ihnen weibliche Gesichtszüge nicht abgesprochen werden können. Damit zeigen sie für mich ihre nicht-Dualität, ihre Ereinigung unserer männlich/weiblich Rollenspaltung.  Zudem tragen sie langes, lockiges Haar, das von einem Haarband mit wehenden Enden zusammen gehalten wird. Andere, höher gestellte Engelscharen tragen anstelle des Haarbandes auch Kronen. Einzig der Erzengel Michael trägt ein scharfes Schwert, mit dem er Wesentliches von Unwesentlichem trennt, Wahrheit von Lüge, Gut von Böse. Alle anderen Engel tragen Botenstäbe als Zeichen, dass sie „von Gott gesandt“ sind und uns eine (frohe) Botschaft bringen möchten. Während Engel der frühen byzantinischen Malerei in zarten, geschnürten Riemchen-Sandalen auftreten, tragen sie auf späteren Werken mit Binden umwickelte Füsse. Wer weiß, wie schwierig Füsse zu zeichnen sind könnte vermuten, dies geschah aus ganz pragmatischen Gründen. Wahrscheinlicher ist jedoch die Tatsache, dass die Maler im Laufe der Jahrhunderte für ihre Auftraggeber immer großartiger, besser, schöner malen wollten und anfingen, alles und jedes zu verschnörkeln und in einer noch anbetungswürdigeren Art zu gestalten. Schnöde Jesuslatschen waren da nicht mehr der Hit. Doch halten wir uns vor Augen, dass die ersten Ikonen durch ihre Schlichtheit auf ihren wahren Inhalt aufmerksam machen wollten: Nicht die Hülle zählt, sondern Dein Wirken.

Dies war eine vertiefende Betrachtung:

 

[Theorie] [Praxis] [Ikonengalerie] [Biographie] [Preise] [Ikonen - Wozu?] [Anfahrt Atelier] [Unterkunft]

[Impressum und Disclaimer]

copyright and all rights reserved 2021 - 2030 by Kirsten Voss