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Beweinung, oder die Weinende Maria

Vorlage_seltene_BeweinungDie Vorlage zu dieser Ikone liegt schon seit 25 Jahren in meinem Unterlagenschatz - wahrhaftig! Damals bekam ich von meinem Ikonenlehrer Georgios Markakis ein paar Blätter kopierter Ikonen als Vorschläge zur Umsetzung. Dieses eine Blatt fand all die Zeit über in mir keine Resonanz, und seien wir ehrlich: Es gibt soo viele wundervolle Ikonen aus soo vielen Ländern, die mir spannender vorkamen als diese schlichte Vorlage. Doch Georgo wußte, was er tat! Nur ich hatte es nicht verstanden. Bis heute, 2021.

Im August führte mich mein geistiges Bedürfnis nach innerer Erbauung wieder in die Tiefen meiner Vorlagen, Bücher und Archive auf der Suche nach einem neuen Motiv, welches von mir “in die Welt getragen” werden möchte. Das betrifft immer die Vorlagen, die mich spontan ansprechen und mir zuflüstern: “male mich!”. Und weil ich Unerledigtes ungern vor mir herschiebe und in lieben Gedanken an Georgos, dem ich so unendlich dankbar bin über sein an mich weitergereichtes Wissen, fühlte ich, dass die Zeit reif sei, um endlich auch noch diese kleine Ikone zu realisieren.

Leider stagnieren derzeit auch bei mir die Aufträge (Corona?) und das Geld wird knapper. Also wählte ich als Unterlage eine Leinwand - weitaus günstiger als die vergoldeten Tafeln - und trotzdem schön. Der Malprozess ist doch derselbe. Die Arbeiten auf Leinwand lassen sich auch weit günstiger anbieten als die “echten” Ikonen, wobei mir “echt” immer im Halse stecken bleibt, da jeder sowieso eine andere Vorstellung davon zu haben scheint. Einigen wir uns an dieser Stelle auf: Unikat und Handgemalt.

Christi BeweinungWas mich zunächst ansprach und animierte, diese Vorlage umzusetzen? Nun, es war die einfache, klare Linienführung und natürlich - rein künstlerisch, technisch - der Gegensatz der Darstellung von lebendiger Haut und der eines Verstorbenen. Ein Verstorbener hat keine Pirodismos (griechisch: Befeuerung) - gemeint ist die leichte Röte auf Wangen und anderen Stellen. Hier wurde zusätzlich für Christus eine weit dunklere Sarka (griechisch: Hautgrundton) gewählt als jene für Maria. Alles zusammengenommen, die Farbtiefe aus dem sehr Dunklem und die allgemeine Linienführung unterstützen sich gegenseitig in der Einzigartigkeit von Vereinfachung bei gleichzeitiger Steigerung des Gesamtausdruckes. Oh, haben Sie das verstanden? Es sind meine künstlerischen Beobachtungen, die mir sehr viel Freude machen. Diese Qualität wirkt erhebend im Geiste!

Ja, also legte ich los. Vom Groben ins Feine, vom Dunklen ins Licht. Mit der Zeit schärft sich das Auge und trägt immer mehr Details in die Wahrnehmbarkeit. Schauen Sie, wie die Trauer Mariens ausgedrückt wird: im Allgemeinen zeigen auf Ikonen tiefe Schatten unterhalb der Augen diese dargestellte Gefühlsregung. Hier haben wir die Ausnahme von der Regel, dass Heilige auf orthodoxen Ikonen zu allermeist einen ausgewogenen Gesichtsausdruck zeigen - Ausdruck ihrer Heiligkeit und Entrückung. Hier ist das anders, und endlich entdeckte ich den Grund, warum Georgos mir gerade diese Vorlage ans Herz gelegt hatte: aus den Augen Marien schossen Tränen hervor! Kaum zu erkennen auf meiner Fotokopie, doch beim intensiven Studieren der Linien, oft ein Unterscheiden zwischen wahren Linien und Kratzer, die im Laufe der Zeit ihre Spuren auf der Oberfläche hinterlassen haben, entdeckte ich schließlich: da sind Tränen! Wundervoll gemalte Tränen sogar.

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Nach der Fertigstellung meiner Arbeit interessierte mich natürlich außerordentlich, woher denn das Urbild dieser Ikone stammte? Ich habe lange nach dem Ursprung gesucht. Dabei wurde mir klar, dass die meisten Darstellungen dieses Themas der Beweinung/Grablegung Christi derart gestaltet sind, dass die Füße des Christus nach rechts zeigen. Außerdem wird der Oberkörper Christi fast immer ohne Verhüllung gezeigt wird. Anders als auf dieser hier besprochenen Ikone, wo der Körper mit einer Binde umwickelt abgebildet wurde. Analog zu der Art, wie das Christuskind in der Höhle, in der Krippe gezeigt wird. Im Anfang liegt das Ende und das irdische Ende beinhaltet den irdischen Anfang. Soviel geistige Tiefe wird in guten Ikonen transportiert, ohne dass ein Wort darüber verloren wird. Man erspürt es einfach, je mehr man sich damit beschäftigt. Es ist also nicht nur das bloße Kopieren, sondern in jedem ernsthaften Kopieren (also die Bemühung, so genau als möglich eine Ikone zu reproduzieren, allen Kratzern und verschlissenen Stellen zum Trotz) liegt der Schatz eines geistigen Erkennens inne.

Diese Ikone entstammt einer weitaus größeren Darstellung von der Beweinung Christi. Das Original ist im Katherinenkloster im Sinai beheimatet und zeige ich hier:

Original Ikone 15. Jhd.

 

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