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Über das Leben, Tod und Teufel   oder
orthodoxes Alltagsleben

Andreas ist ein echter kretischer Leventis (mit der Betonung auf dem zweiten e). Damit ist ein schöner Mensch gemeint, im Sichtbaren wie im Unsichtbaren: optisch ansehnlich, mit gutem Charakter, schnellem Verstand und einer gewissen Portion angenehmer Verwegenheit. Gewitzt, schlau und elegant, jedoch ohne jemanden zu schaden, damit findet ein Leventis seinen Weg durchs Leben. Das weibliche Gegenstück nennt sich Leventissa. In jedem Fall wird diese Bezeichnung in anerkennender und wertschätzender Weise der betreffenden Person beigefügt.

Vollmond auf Kreta

Andreas trägt schwarzes, lockiges, schulterlanges Haar, das seinen unbändigen, jedoch liebenswürdigen Chara kter schon von weitem ankündigt. Sein Lachen ist ansteckend, er weiß Anekdoten zu erzählen, ohne sich in den Vordergrund zu drängen und nimmt plötzlich und ohne Aufforderung seine Gitarre in die Hände und schlägt sanft ein altes kretisches Volkslied an. Dazu summt er leise vor sich hin und ist eins geworden mit sich und seiner Gitarre. Seine tiefe, weiche Stimme verzaubert die plötzlich verstummten Zuhörer und auch ich hatte selten so ein schöneres Gesamtpaket erleben dürfen. Wäre ich 10 Jahre jünger gewesen, ich hätte mich total in ihn verliebt.
Für uns Deutsche etwas seltsam, wird dieses Bild von einem Mann im Griechischen Andrea gerufen. Dieses oder jenes wurde vom Andrea geschaffen (er ist zudem ein begnadeter Töpfer) oder „Andrea! Spiel noch ein Lied“ wird ihm zugerufen. Andrea ist der Akkusativ, Genitiv und Dativ von Andreas. Nur der Nominativ lautet Andreas. Doch soll dies keine Grammatikstunde werden, wohl aber ein kleiner Aufsatz über Merkwürdigkeiten im griechischen Leben und das Verhältnis seiner Menschen zur orthodoxen Kirche.

Sonnenuntergang auf Kreta

Andrea gehört einer kinderreichen Familie an und hat 12 Geschwister. Die meisten von ihnen haben es zu etwas gebracht, weshalb der Familienclan nun einigen Einfluss auf die umliegende Region ausübt. Trotzdem ist er das schwarze Schaf der Familie, weil er mit seinen mittlerweile 40 Jahren immer noch unverheiratet ist und macht, wonach ihm der Kopf steht. Wohlgemerkt: ein Leventis eben, der dabei keinem schadet. Neulich wurde dieser Tausendsassa Andrea zu Renovierungsarbeiten in einer kleinen Kirche herangezogen.
Im Anschluss an diese Renovierungsarbeiten wollte ich grossformatige Malereien aus dem Leben Jesu an die Wände installieren und war daher an einer qualitativ guten Vorarbeit interessiert. Darum bot ich Andrea meine Hilfe an, die er gern annahm. Vier Hände schuften bekanntlich besser als zwei. In den drei Tagen Arbeit auf dem Rollgerüst lernten wir uns besser kennen. Wir erzählten uns Geschichten und stellten uns gegenseitig Fragen über Ansichten des Lebens und der Religion.

Kreta: Licht und Berge

Am zweiten Abend, kurz bevor wir Feierabend machen wollten, stellte mir Andrea eine seltsame Frage die da lautete: Hast du eigentlich im Dunkeln Angst? Nein, antwortete ich und bemerkte sofort, dass sich in ihm ein Abstand zu mir aufbaute. Hast du? - erwiderte ich. Ja, war die prompte Antwort. Das erstaunte mich dann doch. Ein gestandenes Mannsbild, das sich im Dunkeln fürchtete? Wie war das möglich, und warum stand er so freizügig zu dieser Furcht? Hm – wie es so meine Art ist, ich gehe erstmal damit schwanger und sage nichts. Ohnehin waren wir mit der heutigen Arbeit fertig, wünschten uns einen guten Abend und gingen unserer Wege.

Unterwegs fiel mir ein, dass mich meine liebste Nachbarin der Welt, Maria, selbiges auch schon einmal fragte, als sie beobachtete, wie ich nach Einbruch der Dunkelheit mit meiner Hündin Sina Gassi ging. Ob ich denn keine Angst im Dunkeln hätte? - hatte sie mich gefragt. Da steckte doch mehr dahinter, als ich bisher annahm!
Also befragte ich sie noch einmal und formulierte dabei meine in mir aufsteigende Vermutung folgendermaßen: „Maria, heißt es, dass wenn man keine Angst vor der Dunkelheit hat, kein guter Christ ist und nicht an Gott glaubt?“ – und die mich niederschmetternde Antwort lautete schlicht: „Ja.“ Aber warum denn das? Ich spürte, dass die Frage nach dem Vorhandensein der Angst im Dunklen eine Art Test für Fremde (wie mich) war, die bejahten, an Gott zu glauben und Christ zu sein, wenn man sie danach fragte. Doch Kreter sind nicht so leichtgläubig, wie sie sich zeigen. Ein Kreter ist schlau und weiß, wie er die Wahrheit herausfinden kann, ohne den Befragten zu kompromittieren. Irgendwie steckt eben in den meisten Kretern ein Leventis verborgen.

Kreta in hell und dunkel

Am nächsten Morgen erzählte ich Andrea von meinem persönlichen, eher ungewöhnlichen Weg zu Gott, der wohl sehr genau belegt, dass auch ich an Gott glaube, obwohl ich keine Angst in der Dunkelheit habe. Es gab ihm ein bisschen zu denken. Immerhin war mein Ruf nicht völlig ruiniert, raunte ich mir im Stillen zu und wir arbeiteten Hand in Hand weiter, als wenn nichts gewesen wäre.

Den darauf folgenden Tag wurden die Wandbilder installiert. Papa Spiron, der zuständige Geistliche, half mir dabei und auch wir kamen in den Pausen ins Gespräch. Ihn befragte ich nun nach der Ursache dieser Dunkel-Angst und er gab mir eine sehr einfühlsame Erklärung. Es war nämlich so, dass die Kreter, wie jeder weiß, Generationen von Menschenleben unter den moslemischen Türken zu leiden hatten. Besonders die Mütter machten sich in damaliger Zeit um ihren herumtollenden Nachwuchs große Sorgen, er könnte einem Türken in ungnädige Hände fallen. Nach Einbruch der Dunkelheit war diese Sorge nicht ganz unbegründet. Um die Rasselbande im Zaum zu halten, erzählte man den kleinen Kindern, dass Nachts die Zeit des Teufels sei, der umginge und sie hole. Die Menschen auf Kreta sind sehr gottesfürchtig, man stelle sich daher vor, wie sehr sie den Teufel und seine Werke, fürchten! Eine Bejahung des Teufels bedeutet gleichzeitig auch ein großes Ja zu Gott, denn das eine ist ohne das andere für sie nicht vorstellbar.

Bergwetter auf Kreta

Der Teufel und die Hölle – ein Element, wie es auch auf einigen Ikonen vorkommt. Wie ich von Papa Spiron (so wird der Dorfpfarrer angesprochen) erfuhr, kommen wir Menschen nach orthodoxer Lehre nicht mehr in die wirkliche Hölle, da Christus uns den Weg ins Himmelreich wieder geöffnet hat. Die Ikone der zweiten Erscheinung Christi (Η δεύτερη παρουσία) erzählt davon. Aus Gräbern steigen die guten Menschen zu Christus in den Himmel empor und die schlechten Menschen geraten, für immer verloren, in den Höllenschlund eines roten Ungeheuers. Aber wo landen wir dann, nach unserem Tod? Es sei die Vorhölle, der Hades, etwas bequemer und irgendwie zeitlos – so meine in mir aufkommende Assoziation, als Papa Spiron mir den Umstand zu erklären versuchte. Nur die Mutter Gottes ist sofort in den Himmel aufgefahren, steuerte ich mein Wissen bei. Ihre Seele ist, war und bleibt rein von Anbeginn und ihre drei Jungfrauensterne sollen dies, für jeden sichtbar, bezeugen.

Mensch und Natur auf Kreta

Dies war eine vertiefende Betrachtung:

 

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