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Vom Restaurieren alter Ikonen

OriginalAls “Echte Ikonen” gelten landläufig solche, die möglichst dunkel, und daher dem ungeübtem Betrachter den augenscheinlichen Anschein von Ursprünglichkeit vermitteln. Abgeplatzte Stellen und verwitterte Kratzer werden gern in Kauf genommen, da sie als belastbare Zeugen für authentisches Altertum gelten. Oft ist auf solcherart Ikonen kaum noch der Glanz ursprünglicher Tage zu erahnen, geschweige denn lassen sich die Aufschriften entziffern und damit die abgebildeten Heiligen namentlich auch nicht mehr identifizieren. Wer ein solcherart altes Stück in Besitz hält, freut sich oft mehr über die Tatsache des Antiken, als über den in Gold und Farbe lebendig abgebildeten Glauben an sich.

Als Ikonenmalerin bin ich verständlich skeptisch, was diese Betrachtung “Echter Ikonen” angeht, denn für mich sind die Urbilder entscheidend, anhand derer ich alte Ikonen in frischer Farbe neu auferstehen lasse. Punktgenauidentisch übrigens. Selbst unsichtbare, weil im Laufe der Jahrhunderte abgegriffene Aufschriften forsche ich anhand ähnlicher Abschriften desselben Ikonen-Themen aus Museen, ihren Abbildungen in guten Büchern sowie im Internet nach. Meine Kunden erhalten also Reproduktionen alter, “Echter Ikonen”.

Und bei soviel Forschungsdrang interessierte mich im Laufe der Zeit immer mehr, was sich denn unter den Schichten von Ruß und Verfärbungen des Firnis befinden möge und wie eine Ikone “nackt” ausschaut, wenn man sie vom alten Firnis befreit. Da half mir der Umstand, dass ich aus einem Nachlass freundlicherweise von einer Leserin dieser Website eine Ikone geschenkt bekam, der ich dieser Behandlung unterzog.Abgeplatztes unteren

Es handelt sich um eine russische Vielfelder-Ikone (hier 13), auf welcher das Leben, Leiden und Sterben Christi in miniaturhaften Szenenbildern aufgezeigt wird. Der Rand wurde in den Kreidegrund mittels Linien und dicht aneinander gereihten Punkten geprägt (puntziert), und da die Arbeit leider über keine Stoffeinlage zwischen Holztafel und Malerei verfügt, sind besonders an den stärker strapazierten Prägestellen Kreideteile mitsamt der Malerei von der Tafel abgeplatzt.

Mit einer Mischung aus Brennspiritus und Terpentin, vielen Wattestäbchen und einer gehörigen Portion Chuspe, auch Wagemut und nach einem innigen Gebet, in dem ich um Gelingen meines Vorhabens bat und für alle Fälle um Verzeihen für ein eventuelles Desaster, begann ich mein Werk, von dem ich hier berichten will.

Ikone vorher nachher oben rechts

Kurzum, ich wurde selbst über alle Maßen vom Ergebnis überrascht. Das vermutete Gold unter dem Firnis erwies sich als mondscheinweißes Silber! Allein dieser Umstand veränderte die Ausstrahlung der Ikone um ein Vielfältiges. Foto oben und unten: links Original, rechts gereinigt. Beachten Sie unten die Heiligenscheine!
 
Ikone vorher nachher4

Ikone vorher nachher2aDie freigelegten Farben bestätigten allerdings meine Vermutungen: aus einigen Grüntönen wurden nach dem Entfernen des vergilbten Firnis wunderschöne Blautöne, und gelbliche Stellen an Mauerwerk oder Bekleidung veränderten sich in eher weiße Flächen.

Doch schauen Sie selbst! Als Beispiel von vorher/nachher habe ich nur den rechten Teil der Ikone gereinigt und mit einem die Silberschicht schützenden neuen Firnis belegt, da diese sonst recht schnell einschwärzen würde, wie wir es von altem Silberbesteck kennen.
Welch eine Farbigkeit besaß das Urbild! Nur unseren angelernten Vorstellungen von “alt” ist es geschuldet, dass wir die grob vergilbten Ikonen noch als schön empfinden können, entbehren sie doch all dessen, was die Kraft Gottes in Licht und Farben ausstrahlen kann.

Um diese Ikone nun vollständig wieder aufzubauen, braucht es noch viel mehr Zeit und Arbeit. Die abgeplatzten Stellen an den Puntzierungen des aufwendig und nach typischer Art russischer Ikonen gefertigten Randes müssten neu gefüllt, versilbert und die mit Farbe angedeuteten kleinen Edelsteinchen und Linien neu eingefärbt werden. Und auch wenn sich die Ikone erstaunlich gut reinigen, d.h. der Firnis entfernen ließ, feine Pinselstriche der Malerei um Heiligenscheine oder Farbteile der Figuren gaben den sanft geführten Wattestäbchen trotzdem nach und müssten neu gezeichnet werden.

Für mich ist diese Ikone zu einer unschätzbaren Erfahrung geworden, und ich werde sie in diesem Zustand vorher/nachher erhalten, damit interessierte Atelierbesucher sich selbst von dieser ungeahnten Wirkung beeindrucken lassen können.

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